Rheumatoide Erkrankungen an Extremitätengelenken
und Wirbelsäule stellen häufig eine relative oder absolute
Kontraindikation für manualtherapeutische Interventionen dar. Intensive
Kapseldehnungen verbieten sich bei akut entzündlichen und
destruierenden Formen. Beispielsweise hat die Rheumatische Arthritis bei
längerer Krankheitsdauer eine ca. 90%ige Beteiligung der HWS mit
Synovitiden, Destruktion von Knorpel und Erosion von Knochen (Braun et
al., 2009). Etwa 11% – 58% davon haben neurologische Symptome (Coughlin
et al., 2012). Ganz anders verhält es sich mit der ankylosierenden
Spondylarthritis (M. Bechterew). Ihre Symptomatik ähnelt anderen Formen
chronischer Rückenschmerzen und ist in der physiotherapeutischen Praxis
primär heraus zu differenzieren. Die Wahrscheinlichkeit einer
ankylosierenden Spondylarthritis bei chronischen Rückenschmerzen beträgt
immerhin etwa 5% (Rudwaleit et al., 2005) und die Dauer vom Auftreten
der ersten Symptome bis zur Diagnose sind bei Männern 8,4 und bei Frauen
9,8 Jahre (Rudwaleit et al., 2005). Dagfinrud et al. (2008) fassen in
ihrer Literaturübersicht die physiotherapeutischen Ziele bei der
ankylosierenden Spondylarthritis zusammen: Schmerzlinderung;
Erhalt/Verbesserung; Haltung, Wirbelsäulen-Beweglichkeit und
Muskelkraft; Thoraxmobilität und Vitalkapazität; Allgemeine Ausdauer.
Der Beitrag der Manuellen Therapie (MT) wurde bislang lediglich in einer experimentellen Studie von Widberg
et al. (2009) beschrieben: In einem randomisiert kontrollierten
Studiendesign versuchten sie, die Wirkung der therapeutischen
Mobilisationen gegenüber keiner Behandlung hinsichtlich der
Thoraxmobilität und Vitalkapazität sowie Wirbelsäulenbeweglichkeit und
funktionellen Assessments zu erforschen. 32 Männer zwischen 23 und 60
Jahren nahmen an der Studie teil und wurden zufällig in die
Behandlungsgruppe mit den Mobilisationen beziehungsweise in die Gruppe
ohne Behandlung zugeteilt. Die Probanden hatten eine durchschnittliche
Krankheitsdauer von 3 Jahren (0–20), waren in keiner entzündlichen
Phase, hatten keine kostovertebralen Ankylosierungen und keine weiteren
Nebenerkrankungen.
Im Untersuchungszeitraum von 8 Wochen wurden die
Probanden der Kontrollgruppe angewiesen, ihre "üblichen Übungen"
fortzuführen. Die Probanden der Behandlungsgruppe erhielten zweimal
wöchentlich eine einstündige Behandlung mit: Massage; Muskeldehnungen;
aktiven und passiven allgemeinen und lokalen Mobilisationen der
Wirbelsäule und des Thoraxes in unterschiedlichen Richtungen und in
verschiedenen Ausgangsstellungen. Die patientengeleitete Intensität war
"painless as possible" und balancierte zwischen Schmerzzunahme und
Mobilitätsverbesserung. Sie erhielten Anleitungen zu einem einstündigen
mobilisierenden Heimübungsprogramm, das die Probanden zusätzlich zweimal
wöchentlich durchführten.
Die Thoraxmobilität verbesserte sich signifikant vor
allem in Höhe des Proc. xiphoideus um 0,8cm (±1,0), was sich allerdings
auf die Vitalkapazität kaum auswirkte: plus 0,2l (±1,2). Das
Gesamtausmaß der thorakalen Beweglichkeit in Flexion und Extension
verbesserte sich ebenfalls signifikant um 7,5° (±4,8), allerdings
weniger in Extension. Ähnliche Zunahme an Mobilität und auch in der
Gewichtung pro Flexion war lumbal zu erkennen. Allerdings hatte dieser
Mobilitätsgewinn kaum Auswirkungen auf die Haltung der Probanden. Bei
den funktionellen Assessments (zum Beispiel Bath Ankylosing Spondylitis
Functional Index) gab es eine globale und meist signifikante
Verbesserung. Statistisch signifikante Unterschiede zur Kontrollgruppe
gab es bei den Messungen von Thoraxmobilität, sagittale Beweglichkeit
von BWS und LWS und einem funktionellen Assessment (BASMI), in dem 5
Beweglichkeitsmaße erfasst werden (Deutsche Vereinigung Morbus Bechterew
e.V). Diese Verbesserungen konnten in einer weiteren Messung nach 6
Monaten ebenfalls als signifikanter Unterschied festgehalten werden.
Diskussion: Die Arbeit von Widmerg
et al. (2009) zeigt in einigen Eigenschaftsmessungen zumindest
ermutigende Tendenzen in Thorax- und Wirbelsäulenmobilität. Die Manuelle
Therapie ist in dieser Studie Teil eines therapeutischen Pakets, daher
ist der Beitrag der MT an den Ergebnissen nicht wirklich zu erkennen.
Schwächen dieser Studie sind die Heterogenität der Probanden in Alter
und Krankheitsdauer und die geringe Probandenzahl. Positiv ist die
umfangreiche Messmethodik.
Schlussfolgerung: Passive
manualtherapeutische Behandlung kann einen Beitrag zur Verbesserung der
Wirbelsäulen- und Thoraxmobilität leisten, wobei unbedingt weitere
Studien notwendig sind, die MT als therapeutische Besonderheit betonen
und die mehr und homogenere Probanden aufnehmen. Entscheidend für den
Einsatz passiver Mobilisation ist die Berücksichtigung der
krankheitsbedingten Kontraindikationen.
Empfehlung für die Praxis:
Weichteiltechniken oder Funktionsmassagen verbinden die Muskelverformung
mit Bewegungen des Wirbelsäulenabschnittes. Im abgebildeten Beispiel
thorakaler Funktionsmassage, wie sie beispielsweise von der
International Academy of Orthopedic Medicine (IAOM.de) unterrichtet
werden, wird der Patient in Seitenlage gelagert. Während der Daumen der
kaudalen Hand von lateral den Rückenstrecker anhakt und nach medial
schiebt, zieht die kraniale Hand den Thorax nach vorne (Abbildung oben;
Reichert, 2015). Manualtherapeutische Mobilisation an der Wirbelsäule
unterscheidet sich in allgemeine (den ganzen Wirbelsäulenabschnitt
betreffend) und lokale, segmentale Techniken. Allgemeine Techniken
werden in einem dreidimensionalen Bewegungsmuster ausgeführt, das
typisch für den betreffenden Wirbelsäulenabschnitt ist und durch
Seitneigungs- oder Rotationsbetonung die jeweiligen Bewegungsrichtungen
vergrößern kann.
Der Autor
Bernhard Reichert ist Masseur und Physiotherapeut,
BSc und MSc PT., Instruktor für Manuelle Therapie bei der IAOM,
Lehrkraft der Dresden International University und Fachbuchautor
Literaturverzeichnis
- Braun J, Siper J. Treatment of rheumatoid arthritis and ankylosing spondylitis.Clin Exp Rheumatol. 2009; 27 (Suppl. 55): S146-7.
- Coughlin TA, Klezl Z. Focus On Cervical Myelopathy. British Editorial Society of Bone and Joint Surgery. 2012. http://www.boneandjoint.org.uk/sites/default/files/Cervical%20Myelopathy.pdf; 23.06.2015
- Rudwaleit M, Siper J. Diagnose und Fru?hdiagnose der Spondylitis ankylosans (M. Bechterew). Morbus-Bechterew-Journal 2005; 100:4-9
- Dagfinrud H, Kvien TK, Hagen KB. Physiotherapy interventions for ankylosing spondylitis. Cochrane Database Syst Rev. 2008 Jan 23;(1):CD002822.
- Deutsche Vereinigung Morbus Bechterew e.V., Metzgergasse 16, 97421 Schweinfurt. http://www.bechterew.de/fileadmin/DVMB_BV/pdf-dateien/mb/basmi-10.pdf
- Reichert B, Fasolino M, Massage-Therapie. Stuttgart: Thieme.2015
Quelle: VPT Magazin, Nr. 02/2015 Ausgabe SEPT