Als „Aschenputtel-Organ“ bezeichnet
Kursleiter Stefan Dennenmoser die Faszien. Denn das wahre Potenzial des
multifunktionalen Bindegewebsnetzwerks erschließen Wissenschaftler
gerade erst. Wie sich erste Forschungsergebnisse therapeutisch nutzen
lassen, vermittelt der Fascial Fitness Basiskurs in Theorie und Praxis.
Bevor die Kursteilnehmer selbst testen, wie
Faszien-Rollen und fasziales Dehnen wirken, steht Anatomie auf dem Plan:
Faszien bilden ein Bindegewebsnetz, das den gesamten Körper durchzieht
bis in die Fingerspitzen und das unter dem Einfluss von Zug und Spannung
alles zusammenhält. Dazu zählen Sehnen, Bänder, Gelenk- und
Organkapseln sowie das die Muskeln umgebende Bindegewebe. Die hellen
Gewebsschichten bestehen aus Bündeln von Kollagen- und Elastinfasern,
Zellen und extrazellulärem Wasser. Letztere Grundsubstanz ist für die
Formbarkeit und Geschmeidigkeit des Gewebes entscheidend. Wie ein
Schmiermittel lässt sie Muskeln, die von Faszien umhüllt sind, bei jeder
Bewegung aneinander vorbeigleiten. Das Problem: Die
Wasserbindungsfähigkeit des Gewebes nimmt mit dem Alter ab.
Bindungsstellen werden zunehmend durch freie Radikale besetzt. Dagegen
lässt sich mit Schaumrollen trainieren.
„Fascial Release“ nennt
Stefan Dennenmoser das Training mit der Faszien-Rolle, das den
Wasseraustausch im Gewebe fördern soll. Zum Einstieg versuchen es die
Kursteilnehmer mit einem Tennisball unter der Fußsohle: Ganz langsam
lassen sie ihn mit hohem Druck entlang der Plantarfaszie von der Ferse
bis zu den Zehenspitzen nach vorn rollen. Ziel: Der Druck presst altes
extrazelluläres Wasser quasi aus dem Gewebe aus, freie Radikale werden
abtransportiert, frisches Wasser strömt nach. Das soll die
Gleitfähigkeit zwischen den Faszienschichten erhöhen, das Gewebe
geschmeidiger und beweglicher machen und sogar Schmerzen „schmelzen“.
Gelingt das? Wie stark muss der Druck sein? Wie lässt sich mit der Rolle
der Rest des Körpers trainieren? Und: Wie fühlen sich die Rollen mit
unterschiedlichen Härtegraden an? Das kann im praktischen Teil jeder
selbst ausprobieren.
Zur Theorie gehören Bilder und Videos:
Dennenmoser zeigt Aufnahmen mit der Mikrokamera, die beeindruckende
Einblicke ins Innere des Fasziengewebes liefern. Sie belegen, was
Therapeuten früher nur fühlen konnten – Verklebungen und Verdickungen
des Gewebes. Heute weiß man, dass Faszien kein totes Verpackungsmaterial
für Muskeln und Organe sind, sondern selbst ein lebendiges Sinnesorgan
bilden. Sie sind in der Lage, sich nutzungsabhängig zu verändern und sie
wirken bei jeder Bewegung mit, haben signifikanten Einfluss auf die
Übertragung der Muskelkraft, auf die Haltung, das Schmerzempfinden und
die Körperwahrnehmung. Sie können aber auch erkranken.
Faszinierender Einblick in tiefe Gewebeschichten
Bei Jugendlichen weisen Faszien noch eine
scherengitterartige Kollagenfaserstruktur auf. Diese macht sie elastisch
wie eine Damenstrumpfhose. Durch regelmäßige dynamische Dehnbelastungen
lässt sich die elastische Struktur erhalten. Bleiben mehrdimensionale
Spannungen aufgrund fehlender Alltagsreize aus, verändert sich die
Kollagenstruktur: Das Fasernetzwerk verfilzt und verklebt zusehends.
Damit verliert es seine Elastizität. Zum Glück lässt sich auch dagegen
trainieren.
„Fascial Stretch“ heißt die zweite Säule im
Fascial-Training. Auf der Gymnastikmatte zeigt Dennenmoser, wie sich
durch bewegte und variantenreiche Räkel-Dehnungen lange Ketten
aktivieren lassen, die einen höheren Effekt auf die Faszien haben als
klassisches Stretching einzelner Muskeln. Sie tragen dem heutigen
Verständnis Rechnung, nach dem der Körper nicht als starres Gerüst zu
betrachten ist, sondern als dynamisches Modell, in dem Faszien als
Spannungselemente zwischen Knochen und Gelenken für Stabilität und
Gelenkigkeit sorgen. Dennenmoser erklärt, wie die Kursteilnehmer ihre
therapeutischen Übungen mit dem gelernten Hintergrundwissen faszial
optimieren können.
Am zweiten Kurstag steht „elastisches Federn
und Wippen“ an. Die dritte Säule des Trainings wirkt noch effizienter
auf die Faszien und gibt einen weiteren Reiz zur Anpassung der
Kollagenstruktur. Wippen, Federn und Hüpfen macht Faszien fester und
zugkräftiger. Im praktischen Teil üben die Therapeuten den
Katapult-Effekt: Dadurch können vorgespannte Faszien Energie speichern
und damit eine entgegengesetzte Ausholbewegung verstärken. Nur so sind
sportliche Höchstleistungen möglich, die sich durch Muskelkraft allein
nicht erklären ließen.
Die vierte Säule des Faszientrainings
verbessert die Körperwahrnehmung, denn auch bei der Propriozeption
spielen Faszien eine entscheidende Rolle. Die vermittelten Übungen
sollen gegen Schmerz wirken und zur gezielten Koordinationsverbesserung
beitragen. Therapeutisch lässt sich dadurch meist ein Loslassen
unbewusster Spannungen erzielen, erklärt Dennenmoser.
Unser Dozent
Stefan Dennenmoser ist Diplom-Sportwissenschaftler,
zertifizierter Fascial-Fitness-Mastertrainer, Heilpraktiker und
Sporttherapeut mit eigenen Praxen in Ravensburg und Ulm. Er verfügt über
Ausbildungen zum Rolf-Movement-Trainer sowie Gyrotonic- und
Gyrokinesis-Trainer. Neben seiner Dozententätigkeit schreibt Dennenmoser
gerade an seiner Doktorarbeit im Rahmen des von Dr. Robert Schleip
geleiteten Faszienforschungsprojekts an der Universität Ulm.
www.stefan-dennenmoser.de
Info
Warum Faszientraining?
Die
Bewegungswissenschaften richteten ihr Augenmerk lange auf ein Training
von Muskulatur, Kreislauf und Koordination. Neue Erkenntnisse über
Faszien und ihre Bedeutung für die Kraftübertragung sowie als
propriozeptives Sinnesorgan und federndes Spannungsnetzwerk führten zu
einem Umdenken: Faszien-Fitness zielt auf das kollagene
Bindegewebs-Netzwerk als Ganzes ab, um dessen Elastizität zu erhalten,
Adhäsionen und Verklebungen vorzubeugen. Der Kurs erklärt
wissenschaftliche Hintergründe und zeigt, wie Übungen aus der
Physiotherapie faszial gestaltet und präventiv oder therapeutisch
angewandt werden können.
Kurs-Termine
Fascial Fitness Basiskurs
Die
Weiterbildung an der VPT Akademie Fellbach umfasst 16 UE und richtet
sich an Physiotherapeuten, Masseure und medizinische Bademeister,
Ergotherapeuten und Sportwissenschaftler
Nächster Termin: 10.–11.10.2015
Fortbildungspunkte: 16
Gebühr VPT-Mitglieder: 290€
Gebühr Nichtmitglieder: 320€
Anmeldung und Infos:
www.vpt-bw.de
Weitere Faszien-Kurse mit Stefan Dennenmoser, Dr. Robert Schleip und
anderen Fachreferenten finden Sie im VPT Magazin ab Seite 19.
SURF-TIPP
Einen Fachbeitrag über die morphologischen und funktionellen Aspekte von Faszien finden Sie
hier.
Quelle: VPT Magazin, Nr. 01 Ausgabe JUL/AUG